Fahrradstadt Freiburg – Zweirad-Parken rund um die Unibibliothek

Umwelt

Die autofreie Stadt – Utopie oder Notwendigkeit?

Sie heißen „Slowup“, „Fahrrad-Aktionstag“ oder „autofreier Tag“: In jedem Jahr rufen Organisationen dazu auf, das Auto stehen zu lassen – und sei es nur für einen Tag. Sie nehmen ihn als Anlass, daran zu erinnern, dass unsere Innenstädte auch ganz anders aussehen könnten. Durch den Klimawandel wird aus der Theorie immer häufiger gelebte Praxis.

Alle sprechen von Verkehrswende, doch was darunter zu verstehen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Vieles spricht jedoch dafür, dass E-Mobilität allein noch keine Lösung sein kann. Denn Autos bringen nicht nur Emissionen, sie nehmen auch Flächen in Anspruch, die für alternative Mobilität, Bepflanzung und Begegnungsstätten fehlen.

Verkehrskonzept der 1960er Jahre: die autogerechte Stadt

Fortschritt ist nicht immer das, was man dafür hält. Ein gutes Beispiel dafür ist das Konzept der autogerechten Stadt. In den 1960er Jahren stand die freie ungehinderte Fahrt von Autos für Modernität und Aufbruch. Die einfache Anlieferung von Waren sollte in den Städten wirtschaftlichen Wohlstand sichern, die vermeintliche Muffigkeit enger Gassen der übersichtlichen Weite mehrspuriger Straßen weichen. Mit großer Begeisterung wurden Stadtautobahnen gebaut, Stadtviertel durch breite Straßen zerteilt. Stadtplaner stellten den Individualverkehr in den Vordergrund und drängten den ÖPNV zurück. Unterschiedliche Mobilitätsformen wurden streng und „konfliktarm“ voneinander getrennt – in der Regel zugunsten des Autos. Ihm stand die größte Fläche zu. Zum Flächenverbrauch in Bewegung kam der des Parkens – durchschnittlich 23 Stunden täglich steht ein Auto in der Stadt still. Die benötigten Parkplätze sind zwangsläufig ein Nebeneffekt der autogerechten Stadt.

Wo bleibt eigentlich der Mensch?

Heute zeigen sich alle Schwächen des Konzepts deutlich – Umweltbelastung, hoher Flächenbedarf auf Kosten von Bereichen für Erholung und Freizeit und verstopfte Innenstädte bis zum Verkehrskollaps führen zu immer weniger Lebensqualität. Hinzu kommt der wachsende Flächenverbrauch jedes einzelnen Fahrzeugs – während ein VW Käfer sich noch auf 10 qm parken ließ, verbraucht etwa ein Porsche Cayenne 30 % mehr Raum. Kein Wunder, dass große Fahrzeuge kaum in älteren, engen Parkhäusern zu finden sind. Überlegen ist das Auto als Fortbewegungsmittel in der Stadt schon lange nicht mehr – wer ein Auto hat, kommt damit nicht unbedingt schneller voran, die Parkplatzsuche verschlingt weitere Zeit. Die ursprünglich autogerechte Stadt wird heute niemandem mehr gerecht, am wenigsten dem Menschen und der Umwelt.

Die geänderte Zielrichtung: menschenfreundliche statt autogerechte Städte

Es ist nicht leicht, unser mobiles Leben von heute auf morgen zu verändern. Schließlich hängt eine Menge damit zusammen – nicht nur, dass Alternativen zum Auto überhaupt vorhanden sein müssen und die Mobilität von Pendlern und Besuchern gesichert sein muss. Auch die Konzeption und die Bebauung der Städte insgesamt spielt eine Rolle. Doch seit einigen Jahren machen viele einen mutigen Schritt nach vorn. Orte wie Amsterdam oder Kopenhagen fördern den Radverkehr und die autofreie Mobilität seit Jahrzehnten – und dienen anderen als Vorbild. Beispiel Paris: Ab 2024 werden Dieselfahrzeuge von den Straßen verbannt, ab 2030 auch Benziner. Bereits im kommenden Jahr soll der Durchgangsverkehr in der Stadt deutlich eingeschränkt werden, einige Straßen sind bereits jetzt für Autos gesperrt und in Flaniermeilen umfunktioniert worden. Zeitgleich wurde der Radverkehr durch neue Radwege gestärkt. Oder Barcelona: „Omplim de vida els carrers“, „Lasst uns die Straßen mit Leben erfüllen“ ist das Motto, unter dem seit fünf Jahren der Autoverkehr gezielt zurückgedrängt wurde. Angesichts massiver Luftverschmutzung eine Notwendigkeit. Die Verkehrsplaner arbeiten heute mit dem Konzept der „Superblocks" – mehrere Häuserblocks werden zu autofreien Zonen zusammengefasst, der Verkehr fließt dazwischen.

Geht es auch völlig autofrei?

In Deutschland gehört Freiburg zu den Städten, die schon länger auf autofreie Mobilität setzen. Mit einem Autoverkehr von 21 % liegt die Studentenstadt weit vorn. Sie ist neben Aachen, Augsburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm eine der Städte, die künftig im gesamten Stadtgebiet Tempo 30 testen wollen – ein Beitrag für weniger Emissionen, aber auch für einen besseren Verkehrsfluss.

Völlige Autofreiheit ist eine Utopie, die sich aktuell nur selten umsetzen lässt, zumal in größeren Städten. In Deutschland kennt man einige Beispiele, vor allem die Nordseeinseln Baltrum, Langeoog, Spiekeroog oder Wangerooge sind kleine autofreie Paradiese – und Ausnahmen. Doch auch eine autoarme Stadt mit großen autofreien Zonen verbessert die Luftqualität und macht Städte lebenswerter. Und das ohne die häufig genannten Einbußen für örtliche Geschäfte und Gastronomie. Das zeigen etwa die Vergrößerung der autofreien Zone in Brüssel und die Verkehrsberuhigung in der einst Smog-geplagten Metropole Madrid – nach ersten Anpassungsmonaten stieg der Umsatz für die ansässigen Unternehmen auf ein höheres Niveau als zuvor.

Zur Vertiefung des Themas hier drei spannende Filme bei Youtube:

Mobilität anders denken – Von der autogerechten zur menschengerechten Stadt (Medienwerkstatt Franken)
Über Fehler in der Verkehrsplanung am Beispiel Nürnberg

Cycling across Europe in the pandemic (BBC World Service – in englischer Sprache)
Der Megatrend Fahrrad und neue Verkehrskonzepte in europäischen Städten

Why Car-Free Streets May Be Here to Stay (Bloomberg Quicktake – in englischer Sprache)
Selbst in den autoverliebten USA gibt es Konzepte für autofreie Zonen

Die autogerechte Stadt Leipzig in den 1970er Jahren
„Die ursprünglich autogerechte Stadt wird heute niemandem mehr gerecht, am wenigsten dem Menschen und der Umwelt.“
Die Autor*in
Heidi Schmitt
Heidi Schmitt
Egal, ob mit ihrem italienischen Hund Panini oder als leidenschaftliche Läuferin: Heidi ist fast immer zu Fuß unterwegs. Die wilde Vermüllung von Grünflächen in ihrer Wahlheimat Frankfurt macht ihr dabei sehr zu schaffen. Mit alltäglichen Clean-up-Aktionen und der Tastatur hält die Bloggerin und Autorin dagegen. Ihr besonderes Interesse gilt außerdem innovativen Recyclingmethoden und verstecktem Elektroschrott in Dingen des Alltags.