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Was ist nachhaltiger – echtes Leder oder Kunstleder?

Der vegane Lebensstil bezieht sich heute längst nicht mehr nur auf die Ernährung. Für viele Menschen bedeutet der Verzicht auf tierische Produkte, auch um Ledererzeugnisse einen Bogen zu machen. Dass Kunstleder tierleidfrei ist, liegt auf der Hand. Aber ist es wirklich auch nachhaltiger? Sehen wir uns die Sache genauer an und betrachten verschiedene Faktoren, die uns bei der Bewertung helfen.

Echtes Leder ist nicht unbedingt „natürlich“

Häufig ist zu hören, dass Leder das Resultat einer ganzheitlichen und damit sinnvollen Nutzung von Tieren für die Nahrungsmittelproduktion sei. Die Tierhaut wäre also eigentlich ein Neben- oder gar Abfallprodukt, Lederherstellung im Grunde Recycling von etwas, das sowieso vorhanden ist. Aber stimmt das überhaupt? Tatsächlich ist die Tierhaut weit mehr als ein Abfallprodukt. Sie trägt erheblich zur Wertschöpfung durch das Tier bei und subventioniert damit die Fleischproduktion. Wer also Fleisch aus ökologischen Gründen ablehnt, der findet hier ein wichtiges Argument, seinen Verzicht auch auf Leder auszudehnen. Die Herkunft vieler Tierhäute lässt sich zudem nicht immer nachvollziehen. So wird etwa auch die deutsche Autoindustrie mit Regenwald-Rodungen in Brasilien in Verbindung gebracht. Das Land gilt als drittgrößter Exporteur von Leder, unter anderem für Autositze. Hier geht es um Rindsleder, die am häufigsten verwendete Lederart. Aber wie schneidet echtes Leder sonst im Nachhaltigkeitsvergleich ab?

Ressourceneinsatz: Echtes Leder reist weit

Die weit überwiegende Zahl an Tierhäuten, die man hierzulande als Lederprodukte kaufen kann, stammen aus Ländern jenseits der EU, allen voran China, Indien und Brasilien. Weite Wege durch den Transport beeinflussen den CO2-Fußabdruck negativ. Man spricht zudem von einem durchschnittlichen Wassereinsatz von bis zu 100 Litern und dem Energiebedarf eines Zweipersonenhaushalts für fünf Tage, um 1 kg Leder zu produzieren. Leider lassen sich diese Zahlen nicht 1:1 mit Kunstlederprodukten vergleichen, da sie so unterschiedlich sind und kaum Daten vorliegen.

Herstellungsprozess: Gerben ist nicht umweltfreundlich

Damit aus der Tierhaut ein Leder zur Weiterverarbeitung werden kann, ist ein intensiver chemischer Prozess von Nöten, unter anderem das „Gerben“. Dafür werden z. B. Biozide, Enzyme, Tenside, Säuren, Sulfid, Chrom, Lösungsmittel und diverse Gerbstoffe eingesetzt, die eine entsprechende Abwasserbelastung nach sich ziehen. Sogenanntes vegetabil gegerbtes Leder verzichtet immerhin auf das gesundheitskritische Chrom. Das Label „Zertifiziertes Naturleder“ nach IVN und das OEKO-TEX STeP-Siegel zeigen Leder mit einer möglichst umweltschonenden Herstellung an.


Langlebigkeit: Hier kann echtes Leder punkten

Ein hochwertiges Leder ist widerstandsfähig, reißfest und gewinnt mit der Zeit sogar an Ästhetik. Allerdings setzt das voraus, dass die aus Leder gefertigten Produkte auch darauf ausgerichtet sind. Damit ein Produkt langlebig sein kann, müssen zum Beispiel die Nähte entsprechend gearbeitet sein und es muss sich reparieren lassen. Bei vielen geklebten Schuhen kann der Schuhmacher nichts mehr ausrichten, selbst wenn das Obermaterial noch gut aussieht. Und auch bei modischen Accessoires wie Taschen oder Gürteln ist Langlebigkeit heute oft gar nicht gefragt. Das spricht zwar nicht gegen Leder, macht die Bewertung aber vielleicht ein bisschen ehrlicher.

Recycling: weniger „öko“, als es klingt

Leder gilt als Naturmaterial. Das klingt, als wäre es biologisch abbaubar und würde am Ende gar rückstandsfrei zerfallen. Doch das Gerben macht dem einen Strich durch die Rechnung. Denn damit wird verhindert, dass sich das Material zersetzen kann. Farbstoffe und andere Chemikalien, z. B. Beschichtungsmittel aus Kunststoffen zerstören zusätzlich die Illusion von „natürlicher“ Abbaubarkeit. Tierhäute verrotten, hochverarbeitetes Leder kann das aber nicht mehr ohne Weiteres. Lederreste aus der Produktion können dennoch recycelt werden, sie werden zerkleinert und mithilfe anderer Materialien zu Recycling-Leder zusammengefügt.

Kunstleder: Nicht alle sind gleich gut

Zunächst zur Begriffsklärung: Als Kunstleder oder Lederalternative, Lederimitat oder veganes Leder wird alles bezeichnet, was nicht aus Tierhaut hergestellt wurde. Das macht die Bewertung nicht ganz einfach, denn dabei kommen ganz unterschiedliche Materialien zum Einsatz, die sich aus ökologischer Sicht sehr unterscheiden können. Am bekanntesten sind Leder aus Kunststoffen wie PU, PVC oder PET, doch auch naturbasierte Lederarten wie Apfelleder, Eukalyptusleder oder Leder aus Kork, Pilzen oder Ananasfasern sind im Handel erhältlich. Aber kann ein Material aus Kunststoff überhaupt ökologischer sein als das „natürliche“" Leder? Der Higg MSI-Index bewertet Materialien der Modebranche nach ihrer Nachhaltigkeit. Demnach schneidet Kunstleder aus Polyurethan (PU) tatsächlich viermal so gut ab wie natürliches Leder. Kunstleder aus PVC ist jedoch wegen der enthaltenen gesundheitsschädlichen Weichmacher umstritten. Da Leder häufig direkten Hautkontakt hat, z. B. bei Schuhen, Gürteln oder Sitzflächen, ist das ein wichtiger Aspekt.

Ressourceneinsatz: fast keine veganen Leder ohne Erdöl

Durch die Vielfalt der für Kunstleder verwendeten Materialien fällt auch hier der Vergleich nicht leicht. Bei natürlichen Lederimitaten geht es häufig um exotische Ausgangsmaterialien wie Blätter von Banane, Ananas oder Eukalyptus. Daraus ergeben sich weite Wege, zumal sie nicht vor Ort weiterverarbeitet werden und noch andere Zwischenstationen auf der Lieferliste stehen. Hier ist es wichtig, sich immer über die Herkunft und den ökologischen Fußabdruck der Materialien zu informieren. Werden natürliche Rohstoffe eingesetzt, sind sie in der Regel nachwachsend bzw. Nebenprodukte der Nahrungsmittelindustrie (wie Ananas- oder Bananenblätter). Das hält ihren CO2-Fußabdruck bei der Produktion vergleichsweise gering. Doch auch bei natürlichen Materialien kommen oft Kunststoffe zur Beschichtung zum Einsatz. Nur wenige vegane Leder kommen ganz ohne Kunststoffe aus. Leder aus PU, PVC und Co. basieren auf Erdöl, also fossilen, endlichen Ressourcen. Die meisten dieser „klassischen“ Kunstlederprodukte stammen aus China und haben damit ebenfalls einen weiten Weg hinter sich.

Herstellungsprozess: Gerben entfällt

Je nach Ausgangsmaterial ist dieser sehr unterschiedlich. Doch das sehr aufwendige Gerben entfällt, in der Regel entstehen weniger giftige Abwässer und damit auch weniger Gesundheitsgefahren für die Mitarbeitenden in den Betrieben.


Langlebigkeit: Besser als oft gedacht – aber nicht immer

Motorradsitzbänke oder Autositze von Oldtimern zeigen, dass gutes Kunstleder erstaunlich langlebig und robust sein kann. Hier kommt es sehr stark auf das Material, die Qualität und den Einsatzzweck an. Insbesondere die pflanzlich basierten Lederimitate können aber auch sehr schmutzanfällig sein und nach kurzer Zeit die typischen Schäden durch Risse in der Oberfläche aufweisen. In der Tendenz und bei guter Pflege ist Leder aus Tierhaut etwas langlebiger als Kunstleder.

Recycling: Licht und Schatten beim Lederimitat

Die gute Nachricht ist, dass sich Kunstleder aus Recyclingmaterialien herstellen lässt. Es gibt Produkte aus recycelten PET-Flaschen, recyceltem Nylon und vielem mehr. Die schlechte: Die meisten Kunstlederarten lassen sich nicht ohne Weiteres recyceln, auch dann nicht, wenn sie aus einem hohen Anteil nachwachsender Rohstoffe bestehen. Denn Kunstleder ist ein Verbundstoff aus verschiedenen Materialien (z. B. vereinfacht: Textilfasern, Ledermaterial, PU-Beschichtung), die sich nicht einfach trennen lassen.

Fazit: Was ist nun besser – echtes Leder oder veganes Leder?

In Sachen Nachhaltigkeit hat ein qualitativ hochwertiges Kunstleder gegenüber Leder die Nase vorn, vor allem, wenn es aus recycelten Materialien oder aus nachwachsenden Rohstoffen ohne Kunststoffbeschichtung besteht. Dabei lohnt es sich immer, sich genau über die jeweilige Kunstlederart zu informieren, da verschiedene Produkte einen unterschiedlichen CO2-Fußabdruck aufweisen. Wer gar nicht auf (Tier-)Leder verzichten möchte, sollte auf Zertifizierungen wie das OEKO-TEX STeP-Siegel achten.

Außerdem gilt wie so oft auch hier: Der Verzicht auf überflüssige Produkte ist grundsätzlich am nachhaltigsten. Wer darüber nachdenkt, sich das 48ste Paar Schuhe zu kaufen, kann sich nie der Umweltschonung rühmen, ganz gleich, ob sie aus echtem oder aus Kunstleder sind. Langlebigkeit und hochwertige Verarbeitung sind immer der Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit. Wenn es wirklich hochmodische Produkte sein müssen, die nur für einen zeitlich begrenzten Einsatz gedacht sind, sollte man darauf achten, sie später weiterzuverkaufen oder zu verschenken.

Bei modischen Accessoires wie Taschen oder Gürteln ist Langlebigkeit heute oft gar nicht gefragt.
„Wer darüber nachdenkt, sich das 48ste Paar Schuhe zu kaufen, kann sich nie der Umweltschonung rühmen, ganz gleich, ob sie aus echtem oder aus Kunstleder sind.“
Die Autor*in
Heidi Schmitt
Heidi Schmitt
Egal, ob mit ihrem italienischen Hund Panini oder als leidenschaftliche Läuferin: Heidi ist fast immer zu Fuß unterwegs. Die wilde Vermüllung von Grünflächen in ihrer Wahlheimat Frankfurt macht ihr dabei sehr zu schaffen. Mit alltäglichen Clean-up-Aktionen und der Tastatur hält die Bloggerin und Autorin dagegen. Ihr besonderes Interesse gilt außerdem innovativen Recyclingmethoden und verstecktem Elektroschrott in Dingen des Alltags.
Seit jeher wissen Menschen die besonderen Eigenschaften von Leder zu schätzen. Doch der Trend geht zur veganen Variante.
Erstaunlich langlebig: Viele Oldtimer haben hochwertige Kunstledersitze.