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Ein Netzwerk für Wiederverwendungs-Unternehmen? „Re-Use“ in Hessen!

Deutschlands Recyclingquoten sind gut – doch wiederverwendet wird hierzulande das Wenigste. Deshalb hat das Land Hessen ein Netzwerk gestartet. Wir sprechen mit den Koordinator*innen darüber, warum wir nicht vorreiten, was ein Netzwerk tun kann und warum die Integrationsleistung von Entrümpelungsfirmen beachtenswert ist.

Wenn ich Elektrogeräte, ein Möbel- oder Kleidungsstück nicht mehr gebrauchen kann, gilt das nicht gleich für andere. Deshalb kümmern sichzahlreiche Unternehmen und Initiativen um Wiederverwendung. In vielen Kommunen gibt es sozialwirtschaftlich organisierte Institutionen und Entsorgungsunternehmen. Typische Sozialunternehmen wie „Neufundland“ aus Frankfurt oder „Stilbruch“ in Hamburg finden sich in vielen Städten (wir berichteten).

Während wir in Deutschland gute Recyclingquoten haben, hinken wir beim Thema „Re-Use“, also Wiederverwendung, hinterher. Dabei sollten wir getreu der Abfallhierarchie zunächst wiederverwenden, bevor wir energieaufwändiges Recycling betreiben.

Woran liegt das? Welche Maßnahmen gibt es, um „Re-Use“ zu stärken? Und was machen eigentlich unsere EU-Nachbarländer? Wir haben in einem Interview mit Hessens erstem Netzwerk für Wiederverwendung, „Re-Use Hessen“, nachgefragt. Wir sprechen mit den Projektkoordinierenden Imke Eichelberg und Marcus Jurk, die bei der „GWR gemeinnützige Gesellschaft für Wiederverwendung und Recycling mbH“ angestellt sind.


ReCYClist: Das Projekt gibt es nun seit rund einem Jahr in Hessen. Beschreibt unseren Leser*innen doch mal in drei Sätzen, was ihr im Arbeitsalltag macht.

Imke Eichelberg: Wir sprechen mit unterschiedlichen Menschen aus dem Bereich der Wiederverwendung, also Gebrauchtwarenhäuser, Abfallberater*innen, Start-ups, und sammeln deren Bedürfnisse und Erfahrung. Daraus entwickeln wir Aufgaben und Herausforderungen für ein Re-Use-Netzwerk in Hessen.

ReCYClist: Das bedeutet, das Netzwerk ist noch im Aufbau?

Imke Eichelberg: Genau. Die Projekt-Hypothese ist: Wir brauchen ein Re-Use-Netzwerk in Hessen, um die gesetzlichen Quoten zu erfüllen, natürliche Ressourcen zu schonen und das Klima zu schützen. Unsere Aufgabe ist es, innerhalb von zwei Jahren herauszufinden, wie ein solches Netzwerk aussehen kann, wie es finanziert wird, wer dabei ist – eine Art Machbarkeitsstudie.

Marcus Jurk: Das Projekt ist eine Kooperation zwischen GWR, Hessischem Umweltministerium, Umweltamt der Stadt Frankfurt und wird betreut durch das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie.

Wir stehen bereits mit zahlreichen Akteuren im Austausch, bringen Leute zusammen und möchten bessere Bedingungen schaffen, damit sie ihren Arbeitsauftrag, also Wiederverwendung, erfüllen können. Es geht primär darum herauszufinden, was sie brauchen. Das ist in Frankfurt anders als im Vogelsbergkreis. Hessen ist vielseitig.

ReCYClist: Aber wir sind doch bestimmt nicht die Ersten, die so etwas machen …

Imke Eichelberg: Sicher nicht. Deshalb haben wir uns im ersten Jahr viele Praxisbeispiele angeschaut.

Es gibt „Re-Use Berlin“, die beispielsweise an der Entwicklung einer Dachmarke und Qualitätsstandards für Gebraucht-Märkte arbeiten, so wie der Bundesverband „Re-Use Deutschland“ es mit der Dachmarke WIRD (Wiederverwendung – Interessengemeinschaft der sozialwirtschaftlichen Reparatur- und Recyclingzentren e.V.) macht.

Innerhalb der EU ist zum Beispiel das Wiederverwendungsnetzwerk „RepaNet“ aus Österreich Vorreiter. Alle zusammen sind wiederum im europäischen Dachverband „rreuse Europa” zusammengeschlossen. Wir sind nicht gerade an vorderster Front dabei …

ReCYClist: Wie kann das sein? Deutschland rühmt sich doch eines Vorreiter-Rufes, oder nicht?

Marcus Jurk: Österreich hat einfach viel früher begonnen sich zu kümmern: als die sogenannte fünfte Stufe der Abfallhierarchie ins Kreislaufwirtschaftsgesetz eingegangen ist. Die Umsetzung der politischen Entscheidung, die wir nun in Hessen anfangen, wurde dort eben eher begonnen.

ReCYClist: Das klingt für viele sicher noch recht unkonkret. Welche Maßnahmen setzen solche Netzwerke und vor allem das hessische Netzwerk denn um?

Imke Eichelberg: In Hessen sitzen wir ja noch am Konzept. Das entwickeln wir gemeinsam mit den Akteuren, die sich dem Netzwerk anschließen wollen. Dazu sind für dieses Jahr regionale Workshops und eine große Veranstaltung geplant. Wir tingeln also durch ganz Hessen und ermitteln, welchen Rahmen das Netzwerk bieten muss, das kann von Rechtsberatung bis Kommunikation gehen.

Es hilft auch, sich die Ausgangslage nochmal zu vergegenwärtigen: Viele der Secondhand-Warenhäuser wurden als Sozialunternehmen gestartet, die über das Kaufhaus Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen mit schwierigen Erwerbsbiografien umsetzen wollten. Das heißt, die Finanzierung läuft oder lief vielerorts über Jobcenter, Sozialpolitik und so weiter.

Daher haben die Beteiligten einen ganz anderen Blick auf ihr Geschäft als jemand mit Einzelhandelsausbildung. Jetzt geht es darum, vom „Sozialkaufhaus-Image“ wegzukommen, das Thema Wiederverwendung in die Breite zu tragen und attraktiv für viele Konsument*innen zu machen.

ReCYClist: Man könnte denken, eine Marketingkampagne reicht dafür aus …

Marcus Jurk: Die gehört vielleicht dazu. Aber es geht um so viel mehr. Passiert beispielsweise eine vernünftige Mengenerfassung der Gebrauchtwaren, wird sich an verbindliche Qualitätsstandards gehalten? Was machen die Akteure mit Textilien, die nicht zu verkaufen sind? Wenn die sozialwirtschaftlichen Kaufhäuser bei den Kommunen nicht als zuständige öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger (örE) akkreditiert sind, geht ihr Beitrag zur Wiederverwendung beispielsweise nicht in die Abfallstatistik ein. Das Verständnis für solche Prozesse und deren Verbesserung sind enorm wichtig, damit die Kommunen und Landkreise erfassen können, wie viel wirklich in die Wiederverwendung kommt und wie Kreisläufe hin zur Wiederverwertung geschlossen werden können.

ReCYClist: Was bedeuten solche neuen Prozesse operativ?

Imke Eichelberg: Einerseits arbeiten wir ganz simpel mit einer Akteurskarte, damit man überhaupt erstmal sieht, wo es was gibt. Dafür nutzen wir die Karte von morgen. Damit die unterschiedlichen Netzwerkmitglieder Wissen austauschen und von unseren Erfahrungen profitieren können, arbeiten wir zudem mit WECHANGE, einer Plattform zur Kollaboration.

Im Bereich der Datenerfassung helfen wiederum Zertifizierungen, die auch eine rechtliche Absicherung bieten – Stichwort Haftung – oder engere Zusammenarbeit mit den Entsorgern. Dafür kann das Netzwerk auch sorgen. Hier können wir viel von den Erfahrungen profitieren, die unsere Kolleg*innen in Österreich gemacht haben.


ReCYClist: Was braucht ihr, um sagen zu können: „Ziel erreicht“?

Marcus Jurk: Die Herausforderung ist, sich die Landschaft in Gänze anzugucken und trotzdem auf Konkretes einzudampfen. Dabei möchten wir auch die kleinen Akteure nicht vergessen: Umsonstläden, Tauschringe, Reparaturbetriebe und Entrümpelungsfirmen. Besonders wichtig ist hier nämlich, dass viele von ihnen ohne irgendwelche Sozialzuschüsse oder Qualifikationen im Arbeitsalltag Integration betreiben und Deutschkenntnisse innerhalb ihrer Belegschaft ganz selbstverständlich vermitteln.

Wenn es uns gelingt, dass so unterschiedliche Akteure an einem Strang ziehen, haben wir wirklich viel erreicht.

ReCYClist: Danke für das offene Interview.

Mehr auf https://www.re-use-hessen.de/.

„Österreich hat einfach viel früher begonnen, sich zu kümmern: als die sogenannte fünfte Stufe der Abfallhierarchie ins Kreislaufwirtschaftsgesetz eingegangen ist. Die Umsetzung der politischen Entscheidung, die wir nun in Hessen anfangen, wurde dort eher begonnen.“
Marcus Jurk
Die Autor*in
Marlene Haas
Marlene Haas
Als Geschäftsführerin des gemeinnützigen Unternehmens "Lust auf besser leben" und Nachhaltigkeitkeitsaktivistin schlägt Marlenes Herz für alle Themen rund um Zero Waste, Klimaschutz und Circular Economy. Die Frankfurterin tüftelt am liebsten an neuen Ideen, die andere für nicht machbar halten, oder schreibt für RECYCLIST. Ansonsten cruist sie mit ihrem Sohn im Gepäck auf dem Cargobike durch die Region oder bemüht sich um einen grünen Daumen an ihren Hopfenpflanzen.
Imke Eichelberg und Marcus Jurk von der „GWR gemeinnützige Gesellschaft für Wiederverwendung und Recycling mbH“
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