Die Berechnungen der UN beziehen sich auf die ganze Welt, Mega-Metropolen wie Tokio oder Shanghai sind allerdings wenig repräsentativ für unsere Lebenssituationen. Wir wollen es deshalb genauer wissen – wie sieht es in Deutschland aus? Sind Stadtmenschen im Vergleich zu Bewohner*innen der ländlichen Räume wirklich solche Umweltsünder? Wir klopfen die Lebensweise von Menschen auf Stadt und Land anhand der wichtigsten Faktoren Wohnen, Mobilität und Lifestyle ab und vergleichen dabei den Einfluss auf die Ressourcen.
Wohnen – Platz braucht Ressourcen
Die Wohnsituationen in Stadt und Land unterscheiden sich deutlich. Durch den Trend zur Urbanisierung und die daraus resultierende Wohnungsknappheit in vielen deutschen Städten stehen Menschen in der Stadt weniger Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. Kann sich die Bevölkerung im ländlichen Raum auf durchschnittlich 50,2 % qm pro Person entfalten, müssen sich Städter*innen mit 43,5 qm begnügen (lt. Statista im Jahr 2022). In dicht besiedelten Städten wie Frankfurt/Main sind es sogar nur 37,5 qm pro Person (im globalen Vergleich allerdings immer noch ein sehr komfortabler Wert). Ein- oder Zweifamilienhäuser sind auf dem Land weit häufiger zu finden als in der Stadt.
Die größere Beanspruchung von Raum hat Folgen in Bezug auf die CO2-Bilanz: Häuser müssen nicht nur beheizt, sondern auch ausgestattet werden. Von der Bodenfliese bis zum Vorhang, vom Sofa bis zum Teppich – Raum schafft Bedarf. Andererseits haben Hausbesitzer*innen mehr Möglichkeiten, erneuerbare Energien einzusetzen, ihre Energiequellen und die energetischen Maßnahmen an ihrem Haus selbst zu bestimmen. Während Bewohner*innen von Altbauten in der Stadt häufig keinen Einfluss auf die Heizung durch hochbetagte und ineffiziente Gasthermen haben, können Menschen auf dem Land leichter Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen, Biogasanlagen u. Ä. einsetzen. Doch nicht nur die Heizung, auch die Kühlung spielt eine Rolle: Durch die dichte, hohe Bauweise und versiegelte Flächen heizen sich Städte im Sommer mehr auf als ländliche Gebiete, was den Stromverbrauch erhöht, Klimaanlagen und Ventilatoren müssen kräftig arbeiten.
Es gibt keine aktuelle Studie, die alle Faktoren der Wohnsituation in Stadt und Land miteinander vergleicht. Eine Erhebung des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2016 kann jedoch keinen eindeutigen Sieger in Sachen Nachhaltigkeit ausmachen. Der Verdacht liegt nahe, dass das auch heute noch so ist, zu vielfältig sind die Einflüsse, die in das Ergebnis hineinspielen.
Ergebnis:<br/>Nachhaltigkeit Stadt vs. Land beim Wohnen: 1:1
Mobilität – nicht ohne mein Auto
Die deutsche Akademie der Technikwissenschaften stellt in ihrem Mobilitätsmonitor 2021 fest: 68 % der befragten Großstädter*innen halten ihr Auto für unverzichtbar, bei Menschen auf dem Land sind es 85 %. Der Unterschied ist deutlich, aber vielleicht weniger groß, als man vermuten würde. Nur 45 % der Stadtbewohner*innen halten Regional-, U- und S-Bahn für unverzichtbar (22 % der Landbevölkerung). Beim Fernzug winken Bewohner*innen ländlicher Gebiete ab – nur 11 % halten dieses Verkehrsmittel für unverzichtbar (26 % der Städter*innen). Der letzte Mobilitätsbericht des Verkehrsministeriums ist von 2017, ein aktueller ist gerade in Arbeit. Hier wird besonders spannend sein, wie sich die Digitalisierung und der Trend zum Homeoffice auf die Fahrleistung auswirkt.
Interessant dennoch: In ländlichen Regionen, so der 2017er-Bericht, werden bis zu 70 % aller Wege mit dem Auto zurückgelegt. Allerdings: Auch Metropolbewohner*innen legen im Durchschnitt 22 Kilometer pro Tag mit dem Auto zurück, nur 20 % aller Wege werden mit dem ÖPNV bewältigt. Was sagen uns nun all diese Zahlen? Es stimmt: Wer auf dem Land wohnt, fährt öfter mit dem Auto, und das auf längeren Strecken, z. B. beim Pendeln zur Arbeit. Doch auch Großstädter*innen hängen offenbar an ihren Fahrzeugen und halten sie für unverzichtbar. Sie parken den öffentlichen Raum zu (da sie oft über keine Garage verfügen) und beeinträchtigen die Lebens- und Luftqualität in der Stadt erheblicher, als dies im ländlichen Raum der Fall wäre.
Ergebnis:<br/>Großstädter*innen punkten in Sachen nachhaltiger Mobilität, aber nur knapp. Nachhaltigkeit Stadt vs. Land bei Mobilität: 2:1
Lifestyle – von Lieferdiensten und Gemüseanbau
Mobilität und Lifestyle hängen eng miteinander zusammen. Denn auf dem Land nutzt man zumindest für größere Einkäufe des täglichen Bedarfs in der Regel das Auto. Stadtbewohner*innen können leichter zum nächsten Supermarkt radeln. Doch was das Online-Shopping-Verhalten betrifft, zeigt sich kein eindeutiges Bild. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung zeigt in seiner Studie Räumliche Muster des Online-Handels in Deutschland aus dem Jahr 2021, dass es soziodemografische Umstände sind, die dazu führen, ob viel online bestellt wird oder nicht. So wird beispielsweise in wohlhabenden und insgesamt prosperierenden Landstrichen viel mehr online eingekauft als in dünn besiedelten und eher ärmeren Gegenden. Diese Faktoren spielen eine deutlich größere Rolle als nur „Stadt oder Land“. Pauschal vergleichen lässt sich das Einkaufsverhalten nicht und damit auch nicht der entsprechende CO2-Ausstoß durch die Zustellung oder Retouren. „Die Online-Einzelhandelskaufkraft variiert in Abhängigkeit zur Siedlungsstruktur, zeigt aber kein eindeutiges Stadt-Land-Gefälle“, das ist eine der Schlussfolgerungen der Studie.
Was man hingegen sicher sagen kann: Freizeitangebote wie Kinos, Theater, Schwimmbäder oder Restaurants und ihre Lieferdienste sind in der Stadt viel dichter und sie werden auch häufiger genutzt. Das wirkt sich negativ auf die CO2-Bilanz aus. Und noch ein Punkt für das Landleben: Wer die Möglichkeit hat, im eigenen Garten Obst und Gemüse anzubauen, kann leichter Bio-Produkte konsumieren und spart Ressourcen bei Anbau und Transport.
Zum Konsum gehört auch der Umgang mit Abfall. Zwar steht der urbane Lebensstil für ein hohes Abfallaufkommen, z. B. durch To- go-Verpackungen, andererseits wird der Abfall auf engem Raum und in logistisch optimierten Touren entsorgt, immer häufiger auch mit E-Fahrzeugen. Hinzu kommt, dass das Angebot zur Abfalltrennung durch unterschiedliche Wertstofftonnen für Privathaushalte in der Stadt breiter ist. So verweist etwa das Recyclingunternehmen REMONDIS auf ein großes Optimierungspotenzial in ländlichen Räumen durch eine bessere Verbreitung der Biotonne.
Ergebnis:<br/>Auch wenn man den Ressourcenverbrauch durch Konsum und Online-Shopping schwer pauschal vergleichen kann, liegen Bewohner*innen auf dem Land in der Tendenz knapp vorn und ziehen damit gleich. Nachhaltigkeit Stadt vs. Land beim Lifestyle: 2:2
Fazit:
Nachhaltig leben ist eine Frage der individuellen Einstellung, nicht des Wohnorts. Auch die finanziellen Möglichkeiten spielen eine Rolle. Wer viel konsumiert und shoppt, im Haushalt mehrere Autos nutzt, sich Fernreisen leistet und bei alledem wenig auf Nachhaltigkeit achtet, dessen Fußabdruck wird immer besonders groß sein, ganz gleich, wo er lebt. Auch die reine Wohnfläche bietet sich nicht zur Bewertung an, da ein Nachteil etwa beim Energieverbrauch unter Umständen durch andere Faktoren wieder ausgeglichen werden kann. Es ist nicht sinnvoll, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe anhand „Stadt oder Land“ in Sachen Nachhaltigkeit zu beurteilen, dafür ist das Thema zu komplex.
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