Mobilität

Wie umweltfreundlich ist Carsharing?

Es begann in den frühen 90er Jahren – Carsharing in Deutschland startete seinen Siegeszug. Langsam, aber unaufhaltsam. "Die Pkw-Gemeinschaftsnutzer sind die Realos unter den Autofeinden", schrieb der SPIEGEL 1990 über das neue Phänomen. Heute würde niemand mehr auf die Idee kommen, Carsharing ideologisch zu verorten. Nur dann für ein Auto zu bezahlen, wenn man es wirklich nutzt, erscheint zeitgemäß.

Auch wenn sich die großen "Shareconomy"-Visionen bislang nicht erfüllt haben, in denen Bohrmaschinen, Videokameras, Abendkleider und Gartengeräte automatisch in einer Community geteilt werden, so hat sich Carsharing als großes Erfolgsmodell erwiesen. Im Januar 2023 waren knapp 4,5 Mio. Nutzer*innen bei einem Carsharing-Anbieter angemeldet, gemeinsam teilen sie sich rund 34.000 Fahrzeuge, die in mehr als 1.000 Städten unterwegs sind – und keineswegs alle sind Großstädte.


Stationsbasiert oder Free-Floating – das Konzept macht den Unterschied.

Wenn wir die Umweltfreundlichkeit des Carsharings unter die Lupe nehmen, ist es wichtig, zwei verschiedene Konzepte zu unterscheiden.

a) Stationsbasiertes Carsharing<br/>Hier wird das Fahrzeug an einem bestimmten Ort abgeholt und auch wieder dorthin gebracht. In der Regel wird es für eine zuvor festgelegte Zeit gebucht. Eine Fahrt mit einem Stationsauto ist planbar, inklusive dem sicheren Parkplatz. Das Konzept lässt aber wenig Raum für Spontaneität.

b) Free-Floating-Modell<br/>Es ist für spontane Fahrten geeignet – kurz vor Fahrtantritt wird in der App nachgeschaut, wo sich in der Nähe ein Fahrzeug befindet. Fahrten sind innerhalb eines bestimmten Gebiets eher One-Way, das Auto wird einfach am Ankunftsort wieder abgestellt, es gibt keine Station. Die Abrechnung erfolgt oft im Minutentakt.

Manche Carsharing-Anbieter kombinieren beide Konzepte miteinander und bieten jeweils für die unterschiedlichen Bedürfnisse Fahrzeuge an. Aber welchen Einfluss haben die Systeme auf die Nachhaltigkeit?

Stationsbasiertes Carsharing: in Sachen Nachhaltigkeit vorn.

Betrachtet man nur das stationsbasierte Modell, spricht im Grunde alles für Carsharing. Es trägt erheblich dazu bei, nachhaltige Mobilität zu unterstützen und unsere Städte langfristig von der Blechflut parkender Autos zu befreien. 78 % der Nutzer*innen dieses Konzepts in innenstadtnahen Wohnlagen haben ihr eigenes Auto bereits abgeschafft (laut einer Erhebung des Bundesverbands Carsharing bcs ). Ein einziges stationsbasiertes Carsharing-Fahrzeug ersetzt dort demnach bis zu 20 private Pkw. Das ist beeindruckend und lässt die Utopie der autofreien Stadt etwas weniger unrealistisch erscheinen. Hinzu kommt: Die Befragten nutzen nicht nur den Fahrzeug-Pool, sondern auch häufiger andere nachhaltige Fortbewegungsarten wie das Fahrrad oder die Öffentlichen Verkehrsmittel. In das Auto wird insgesamt seltener eingestiegen, die Wahl des Verkehrsmittels erfolgt bewusster. Wenn es dann doch einmal der Pkw sein muss, kommt ein weiterer Umweltvorteil zum Tragen, der allerdings für beide Systeme gilt: Im Carsharing-Pool stehen vergleichsweise neue, verbrauchsarme Fahrzeuge, der Anteil der E-Fahrzeuge liegt bei ca. 20 %. Autos im Privatbesitz sind in Deutschland dagegen im Schnitt 10 Jahre alt und deshalb technisch nicht unbedingt auf dem neuesten (und nachhaltigsten) Stand.


Free-Floating Nutzer*innen ticken anders.

Das Free-Floating-Modell führt kaum dazu, dass Nutzer*innen den eigenen Pkw abschaffen. Wie verschiedene Studien zeigen, sind Free-Floating-Fans autoaffiner und lieben die Bequemlichkeit, immer und überall ein Fahrzeug zur Verfügung zu haben. Der Carsharing-Wagen wird spontan, in kürzerer Nutzungsdauer und für kürzere Fahrten genutzt. Das legt den Verdacht nahe, dass der Pkw so manches Mal statt der Öffentlichen Verkehrsmittel zum Einsatz kommt. Ein Thema, das auch in Zusammenhang mit E-Scootern diskutiert wird. Während zuhause das eigene Auto auf der Straße parkt und öffentlichen Raum in Anspruch nimmt, wird für einen kurzen Weg ein anderes Fahrzeug bewegt. Und auch dieses wird wieder im öffentlichen Raum abgestellt, wo es unter Umständen viele Stunden stehenbleibt.

Anbieter dieses Modells argumentieren, dass Free-Floating dafür mehr Menschen erreicht als das stationsbasierte Konzept. Wer erst einmal erlebt hat, wie unkompliziert Mobilität auch ohne das eigene Auto sein kann, entschließt sich über kurz oder lang dann doch, den eigenen (Zweit-)Wagen abzuschaffen, so das Argument. Das ist möglich, aber keineswegs sicher. Doch auch diesem System kann man zugutehalten, dass es geeignet ist, Hemmschwellen gegenüber E-Fahrzeugen oder auch kleineren Stadtautos abzubauen, sodass diejenigen, die am eigenen Auto festhalten wollen, vielleicht beim nächsten Modell auf eine nachhaltigere Variante umsteigen (könnten).

Ob Carsharing mit Free-Floating tatsächlich zum Umdenken führt und flexible und wirklich nachhaltige Mobilität fördert, kann man zumindest in Frage stellen. Das stationsbasierte Modell steht allerdings tatsächlich für eine bewusstere, nachhaltigere und auf den jeweiligen Bedarf abgestimmte Mobilität.

Stichwort Lebensdauer – was passiert mit ausgedienten Carsharing-Autos?

Auch diesen Aspekt wollen wir nicht unter den Tisch fallen lassen. Wie Deutschlandfunk Nova berichtet, werden Carsharing-Wagen je nach Anbieter und Konzept nach zwei bis fünf Jahren ausgemustert. Danach werden sie für den Gebrauchtwagenmarkt vorbereitet und verkauft. Carsharing-Fahrzeuge werden im Laufe ihres Lebens oft nicht besonders pfleglich behandelt. Free-Floating-Autos stehen bei jedem Wetter im Freien, niemand nimmt Rücksicht darauf, ob sie unter Vogelschlafplätzen oder Kastanienbäumen stehen. Auch im Innenraum sind die Wagen wenig gepflegt. Hinzu kommen die unterschiedlichsten Fahrweisen und Fahrfehler der Nutzer*innen. Wie alt Carsharing-Autos nach ihrer Zeit als Flottenwagen noch werden, kann man nicht wissen, aber es ist zu befürchten, dass sie eine kürzere Lebensdauer haben als Fahrzeuge, die immer im Privatbesitz waren. Aus Umweltsicht ist das nicht wünschenswert. Gemessen an den oben aufgezählten Vorteilen insbesondere des stationsbasierten Konzepts fällt dieser Nachteil allerdings weniger ins Gewicht.

Fazit:

Ist Carsharing nachhaltig? Es kommt darauf an! Stationsbasiertes Carsharing ermöglicht Menschen, ihr eigenes Auto abzuschaffen und genau das tun dann auch viele. Jedes Fahrzeug, das NICHT 23 Stunden am Tag im öffentlichen Raum herumsteht (das ist tatsächlich der Durchschnittswert), ist ein Gewinn für die Umwelt und die Lebensqualität in den Städten. Leider führt das Free-Floating-Modell nicht zwangsläufig zu vergleichbaren Nachhaltigkeitseffekten. Grundsätzlich ist Carsharing aber ein toller Baustein in einem modularen Mobilitätskonzept, bei dem jede*r das Verkehrsmittel nutzen kann, was gerade am besten zu den eigenen Bedürfnissen passt.

Nutzer*innen von stationsbasiertem Carsharing steigen auch öfter mal in Bus und Bahn ein.
„Das stationsbasierte Modell steht tatsächlich für eine bewusstere, nachhaltigere und auf den jeweiligen Bedarf abgestimmte Mobilität.“
Die Autor*in
Heidi Schmitt
Heidi Schmitt
Egal, ob mit ihrem italienischen Hund Panini oder als leidenschaftliche Läuferin: Heidi ist fast immer zu Fuß unterwegs. Die wilde Vermüllung von Grünflächen in ihrer Wahlheimat Frankfurt macht ihr dabei sehr zu schaffen. Mit alltäglichen Clean-up-Aktionen und der Tastatur hält die Bloggerin und Autorin dagegen. Ihr besonderes Interesse gilt außerdem innovativen Recyclingmethoden und verstecktem Elektroschrott in Dingen des Alltags.