Stück für Stück werden öffentliche Flächen entsiegelt und begrünt

Klimawandel

„Baggern“ um mehr Grün – viele Vorteile, wenig Kohle

Die Bodenversiegelung dichtet den natürlichen Untergrund vollständig ab und bietet matschfreie Fortbewegungsmöglichkeiten auf grauem Asphalt – garantiert sinnvoll für Autos, Kinderwägen, Rollstühle und Räder. Doch wie sieht es mit öffentlichen Plätzen aus – welchen Sinn stiften versiegelte öffentliche Räume, die nicht der Fortbewegung dienen?

Unnatürliche Materialien, die weder Wasser noch Luft durchlassen, wurden jahrzehntelang selbstverständlich genutzt. Sie sind günstig, denn sie bedürfen keiner Pflege. Die Folgen spüren wir heute. Durch den Klimawandel nehmen Extremwetterereignisse zu. Bei Starkregen überfluten versiegelte Böden schnell, im Hochsommer überhitzen sie mit bis zu 14 Grad Temperaturunterschied im Gegensatz zu begrünten Flächen.

Was bringt Entsiegelung?

Die Entsiegelung von Städten hat eine Vielzahl gesundheitlicher Vorteile. Bei der Entsiegelung werden versiegelte Flächen wie Beton- oder Asphaltflächen in Grünflächen umgewandelt, was sowohl für Pflanzen als auch Insekten und andere Tiere von Vorteil ist – und dadurch auch für uns.

  1. Verbesserte Luftqualität: Durch die Entsiegelung von städtischen Flächen können Grünflächen entstehen, die dazu beitragen, die Luftqualität zu verbessern, indem sie Kohlendioxid aufnehmen und Sauerstoff produzieren. Grünflächen reduzieren Luftschadstoffe und verringern somit das Risiko von Atemwegserkrankungen.
  2. Reduzierte Hitzeinseln: Versiegelte Oberflächen absorbieren Wärme und tragen zur Entstehung von Hitzeinseln bei, was zu erhöhten Temperaturen in städtischen Gebieten führt. Die Entsiegelung von Städten hilft bei einer natürlichen Kühlung durch mehr Grünflächen. Niedrigere Temperaturen, gerade in immer tropischer werdenden Nächten mit über 20 Grad, senken das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
  3. Verbessertes Wohlbefinden und Förderung von Bewegung: Der Zugang zu Grünflächen kann sich positiv auf das psychische Wohlbefinden auswirken. Die Entsiegelung von Städten schafft Räume, in denen sich Menschen erholen können, was zur psychischen Gesundheit beiträgt. Grünflächen in städtischen Gebieten bieten die Möglichkeit, sich im Freien zu bewegen, zu trainieren und aktiv zu sein, was ebenfalls für eine gesündere Gesellschaft sorgt.
  4. Verbessertes Wassermanagement: Entsiegelung von Städten trägt zu besserer Wasserqualität bei, da Grünflächen Regenwasser filtern, bevor es in die Kanalisation gelangt. Dies verringert die Belastung der Gewässer mit Schadstoffen. Gleichzeitig kann bei Starkregenereignissen Wasser im Boden versickern und führt so zu weniger Überschwemmungen („Schwammstadt“).
  5. Unterstützung der Biodiversität: Grünflächen in städtischen Gebieten bieten Lebensräume und Nahrungsquellen für eine Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten. Die Entsiegelung von Städten kann dazu beitragen, die Vielfalt der städtischen Flora und Fauna zu fördern, was wiederum ökologische und gesundheitliche Vorteile bietet. Mikrogrünflächen in näheren Abständen bieten Bienen und Schmetterlingen sogenannte „Insektenbrücken“; dort finden sie Futter und Unterschlupf.

So viele Vorteile, so wenig Grün – wie kommt’s?

Entsiegelung von Städten muss sorgfältig geplant und umgesetzt werden. Daten wie das „Stadtgrünraster Deutschland“ zeigen, wo in Deutschland vor Hitze und Starkregen gefährdete Gebiete liegen. Doch auch ohne Satelliten-Blick aus dem Weltall ist genug Wissen vorhanden, wo es beispielsweise in der eigenen Nachbarschaft im Sommer zu heiß wird, welche öffentlichen Plätze nicht mehr genutzt werden können, wenn im Sommer eigentlich jede*r ins Freie möchte.

Diese Ressource, die Bewohner*innen selbst, nutzte die Frankfurter Kampagne „Green it up – mein kunterbuntes Quartier“ und rief dazu auf, Entsiegelungsorte in ihrer Nachbarschaft zu benennen. Der Clou: Die Teilnehmenden erklärten sich dazu bereit, die Flächen mit einer ehrenamtlichen Pflegepatenschaft zu betreuen, sollte ihre Idee gewinnen und entsiegelt werden.

Die Initiator*innen von „Green it up“ holten sich Fachkompetenz zur Seite und unterstützen den Prozess insofern, als dass sie alle Informationen beschafften, die für eine Entsiegelung notwendig sind (Leitungspläne, Brandschutz usw.), Planungsunterlagen erstellen ließen und über Ortsbeiräte Beschlüsse einholten – gemeinsam mit den Ehrenamtlichen.


Etwas über ein Jahr nach Kampagnenstart wird nun die erste von vier Flächen entsiegelt – die Bagger sind angerollt, der Asphalt ist aufgerissen.

Für eine Umgestaltung des öffentlichen Raums gleichen zwölf Monate einem Marathon. Für die Menschen, die seit Jahren im Sommer unter der Hitze leiden und sich ehrenamtlich für die Pflege von öffentlichen Grünflächen einsetzen, ist es eine Geduldsprobe.

Beide Seiten müssen zueinanderfinden, um in puncto klimaresiliente und grüne Städte voranzukommen. Einerseits fehlen Tiefbaufirmen und ämterübergreifende Prozesse, andererseits Budgets, um Grünpflege zu finanzieren – und die wird es brauchen, wenn wir Klimaanpassung ernst meinen.

So sei es: Per Gesetz zu mehr Grün

Zu wissen, warum gegenwärtig zu wenig entsiegelt und begrünt wird, ist wichtig. Gleichwohl kann es künftig kaum als Ausrede dienen. Der Bundestag hat am 16. November 2023 ein Klimaanpassungsgesetz verabschiedet. Die Bundesregierung muss künftig eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie mit messbaren Zielen vorlegen, und auch die Länder stehen in der Pflicht.

Lokale Klimaanpassungskonzepte auf der Grundlage von Risikoanalysen, Vorsorge mit Augenmaß … und ein „Berücksichtigungsgebot“. Das bedeutet so viel wie: Bei Planungen und Entscheidungen muss das Ziel der Klimaanpassung fachübergreifend berücksichtigt und integriert werden.

Dabei geht es nicht um Wohlfühlversprechen an eine Umwelt-affine Öko-Wähler*innenschaft. Es geht (auch) um Geld. Die Schadenssummen in Milliardenhöhe verursacht durch Wetterextreme steigen – ob durch Hitze, Dürre, Überflutungen, wie an der Ahr oder Waldbrände verursacht – und sind Folge der oder verstärkt durch die Klimakrise.

Die kommunale Grünpflege mit Ehrenamt zu verstärken, kann also nur ein erster Impuls sein, um schneller voranzukommen. Denn Zeit zu verlieren haben wir nicht. Der Bagger rollt.

Tipps:

„Blau-grüne Infrastrukturen sowie grünere Städte reduzieren nicht nur den ⁠Hitzeinsel⁠-Effekt, sondern haben auch positive Effekte auf die Lebensqualität, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. “
Umweltbundesamt
Die Autor*in
Marlene Haas
Marlene Haas
Als Geschäftsführerin des gemeinnützigen Unternehmens "Lust auf besser leben" und Nachhaltigkeitkeitsaktivistin schlägt Marlenes Herz für alle Themen rund um Zero Waste, Klimaschutz und Circular Economy. Die Frankfurterin tüftelt am liebsten an neuen Ideen, die andere für nicht machbar halten, oder schreibt für RECYCLIST. Ansonsten cruist sie mit ihrem Sohn im Gepäck auf dem Cargobike durch die Region oder bemüht sich um einen grünen Daumen an ihren Hopfenpflanzen.
Die Planung einer Entsiegelung kann durch ein Sandarium oder Totholz insektenfreundlich werden.