Die Modeindustrie produziert Berge an Abfällen. Um das zu ändern, gibt es Zero-Waste-Design.

Abfallvermeidung

Nachhaltige Revolution: Zero-Waste-Design in der Modebranche

Im Streben der Modeindustrie nach nachhaltigeren Praktiken platziert sich das Zero-Waste-Design als kreativer Ansatz: Der Abfall in der Produktion von Kleidung soll auf ein Minimum reduziert werden. Im Gegensatz zum traditionellen Designprozess, bei dem große Mengen an Stoffabfällen entstehen, maximiert Zero Waste Design die Nutzung des Materials durch effiziente Schnittmuster.

Es gab eine Zeit, da waren Stoffe noch sehr kostbar und jedwede Verschwendung des aufwendig hergestellten Materials wurde so gut es ging vermieden. Zeitzeugen des Modedesigns beweisen dies bis heute. So wurde beispielsweise die Seide zur Herstellung eines klassischen japanischen Kimonos auf einem Webstuhl mit der fest definierten Breite von 36 cm gewebt. Zur Herstellung der Kimonos wurde die gesamte Breite des Materials ausgenutzt, sodass es keinen Verschnitt gab.


Knapp 1.300 Jahre später landen bei der Herstellung von Kleidungsstücken durchschnittlich 15 % der Stoffe bereits als Verschnitt auf dem Fabrikboden. Die weltweite Textilfaserproduktion hat sich von rund 58 Millionen Tonnen im Jahr 2000 auf 109 Millionen Tonnen im Jahr 2020 bereits fast verdoppelt. Dies entspricht einem Verschnitt von rund 16 Millionen Tonnen Textilfasern im Jahr 2020.

Zero-Waste-Design: Kreative Herausforderungen und Innovation

Das Zero-Waste-Fashion-Design erfordert von Designer*innen nichts weniger als eine Umstellung ihres Denkens und eine enge Zusammenarbeit mit Musterherstellern. Jedes Stück Stoff soll sorgfältig genutzt werden, das Design muss an die verfügbare Materialmenge angepasst werden. Dies öffnet jedoch auch den Raum für kreative Innovation, weiß Prof. Paula Knorr von der AMD Akademie Mode & Design.

Grundsätzlich lassen sich laut Knorr vier „Best-Practice-Regeln“ für die Erstellung von Zero-Waste-Designs formulieren:

  1. Von Groß nach Klein: Verschiedene Elemente können zusammengenäht werden, um auch kleinere Stoffstücke zu verwenden. Schrägstreifen können auch aus kleinen Stoffresten zusammengenäht werden, statt aus neuen Stoffbahnen. Futter können z. B. aus den Stoffresten eines anderen Projekts oder Stoffes zugeschnitten werden.

  2. So wenig schneiden wie möglich: Beim Zero-Waste-Design können Formnähte durch Abnäher und Falten ersetzt werden. Oder die entstandene Mehrweite wird angenommen und neu interpretiert, so dass die Seitennähte zu geraden Linien werden dürfen. Auf diese Weise liegen die Schnittmusterteile bündig aneinander und kein Stoff wird zwischen den Schnittteilen verschwendet. Stark veränderte Nahtführung und Fadenläufe verändern das Aussehen des endgültigen Kleidungsstücks natürlich sehr, aber so können auch neue Ideen für Volumen und Passform entstehen.

  3. Die Stoffbreite bestimmt das Design: Zero-Waste-Design beginnt immer mit der Stoffbreite. Die Breite des Stoffes ist der entscheidende Faktor beim Zero-Waste-Design. Ohne die Breite des Stoffes im Voraus zu kennen, kann ein abfallfreies Kleidungsstück weder entworfen noch hergestellt werden. Anstelle der traditionellen Skizze beeinflusst nun also der Schnittmusterprozess selbst das Kleidungsdesign. Der Zuschnitt ist somit der wichtigste Faktor für das Design.

  4. Ein Schnittmuster = eine Größe: Konventionelle Methoden, das Schnittmuster zu gradieren, sind im Zero-Waste-Design nicht möglich. Es gibt keinen Raum, um Schnittteile zu vergrößern, da jeder Zentimeter der Stoffbreite ausgenutzt wird. Typischerweise werden Schnittmuster auch mehr in der Breite als in der Länge gradiert. Dies ist beim Zero-Waste-Design nicht möglich, da die Schnittmusterteile fest ineinandergreifen. Eine Drehung des Schnittbildes würde zwar ein Wachstum in Längsrichtung des Stoffes ermöglichen, doch würde sich dadurch der Fadenlauf der Schnittmusterteile ändern, was wiederum Fall und Gesamtbild des Kleidungsstücks verändert. Eine alternative Methode ist die Verwendung von geometrischen Einsätzen, z. B. dekorativ als Spitze, um verschiedene Größen zu kreieren.

Praxisbericht: Wie funktioniert Zero-Waste-Fashion-Design?

Im Rahmen des Projektes „Fashion Campus 2030“ (FC2030) der Lust auf besser leben gGmbH fand in Kooperation mit der AMD ein halbtägiger Workshop in Wiesbaden statt. Hier konnten sich Teilnehmende des FC2030-Netzwerks sowie Schülerinnen und Schüler der Bekleidungsfachschule Frankfurt am Main nach einem theoretischen Input von Professorin Paula Knorr selbst der Herausforderung eines Zero-Waste-Designs stellen.

Dabei gingen die Teilnehmenden ganz unterschiedlich vor, um eigene Stücke zu entwerfen. Eine Herangehensweise ist es beispielsweise, den gesamten zur Verfügung stehenden Stoff ohne Schnitte um den Körper herum zu drapieren. Wieder andere versuchten, mit den benötigten Schnittteilen auf dem Stoff im wahrsten Sinne des Wortes zu „puzzeln“ und somit den Verschnitt bei oder bei nahezu 0 % zu halten.

Was dann doch noch als Verschnitt übrig ist, lässt sich in seiner gestalterischen Funktion häufig auch umnutzen, beispielsweise als dekoratives Element einer Tasche oder als Ohrring verwenden.

Besonders spannend: die „One size fits all“-Problematik. Statt beispielsweise ein geschlossenes T-Shirt zu entwerfen, übten sich die Modeschaffenden darin, Streifen in den Seitenteilen des T-Shirts zu verwenden, um die Breite variabel einzustellen.


Designer*innen wie Timo Rissanen, Holly McQuillan, Dr. Mark Liu, Carlos Villamil, Karin Vlug, Danielle Elsener, Natasha von Hirschhausen, Julian Roberts, Issey Miyake und viele weitere zeigen, dass Zero-Waste-Design erfolgreich umgesetzt werden kann.

Durch einzigartige Schnittmuster und kreative Gestaltung haben sie nicht nur Abfall minimiert, sondern auch ästhetisch ansprechende und interessante Kollektionen geschaffen.

Appell zur weiteren Förderung nachhaltiger Praktiken in der Modeindustrie

Die Rolle von Zero-Waste-Design in der Modeindustrie wird sich auch durch technologische Fortschritte wie etwa Künstliche Intelligenz weiterentwickeln, doch sind neben Investitionen in die Technik auch Schulungen, Weiterbildungen und die Überarbeitung von Produktionsprozessen Bestandteil neuer Verfahren.

Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Designer*innen, Hersteller*innen und Verbraucher*innen ist entscheidend, um eine nachhaltige Mode-Zukunft zu gestalten.

Der Übergang zu Zero-Waste-Design ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bedarf weiterer Anstrengungen, um die Modebranche insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Ein Appell an alle, ihre Praktiken zu überdenken und gemeinsam an einer nachhaltigen Zukunft zu arbeiten.

Mehr erfahren:

 

„Waste isn't waste until we waste it.“
WILL.I.AM
Die Autor*in
Lukas Glöckner
Lukas Glöckner
Lukas ist Mediengestalter und Kommunikationsmanager B.A. Er kommt aus dem Bereich "CSR" eines Familienunternehmens und arbeitet nun bei "Lust auf besser leben". Er ist im Herzen ein stets kreativer und besonnener Hands-on-Teamplayer - und schreibt für sein Leben gern. Am liebsten über neue Innovationsthemen, die er sich selbst "drauffschaffen" muss.
Stoffbahn für die Herstellung eines Kimonos, darunter der Aufbau eines Kimonos
Geschickte Lösung des „One-size-fits-all“-Problems bei Zero-Waste-Fashion-Design