Circa ein Drittel der Erdoberfläche ist von Waldflächen bedeckt. Die Wälder sind Heimat für 80 % der bekannten Tier- und Pflanzenarten außerhalb der Weltmeere. Dabei sind die Regenwälder von besonderer Bedeutung, sie bedecken nur knapp 7 % der Erdoberfläche, beherbergen aber die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten weltweit.
Wälder sind sowohl ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, immerhin Lebensgrundlage für mehr als 1,6 Milliarden Menschen, als auch wichtiger Regulator des Weltklimas. Sie speichern das Treibhausgas Kohlendioxid, reinigen unsere Luft und sorgen durch Verdunstung für wichtige Kühleffekte. Nicht zuletzt sind Regenwälder auch Rückzugsort indigener Völker und entsprechend Lebensgrundlage sowie spiritueller Bezugspunkt.
In den letzten 50 Jahren ging mehr als die Hälfte der tropischen Regenwälder verloren. Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge werden jährlich noch immer rund 7,6 Millionen Hektar Wald vernichtet – alle vier Sekunden verschwinden Waldgebiete in der Größe eines Fußballfeldes.
Die Hauptursache dieser negativen Entwicklung ist wie so häufig unser Konsumverhalten. Die Wälder machen Platz für die Produktion von Agrarprodukten wie Palmöl, Soja, Kautschuk, Kakao, Kaffee und die Rinderhaltung zur Fleischproduktion. Diese Agrarrohstoffe werden größtenteils nicht im Anbauland konsumiert, sondern in Industrieländer exportiert. Die EU führt so rund ein Drittel an Agrarrohstoffen ein, für die Wälder gerodet wurden.
Die Europäische Union reagiert
Mit einer Verordnung gegen Entwaldung dürfen Rohstoffe und Erzeugnisse gegen Ende 2024 nur noch dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie auf Flächen produziert wurden, auf denen seit dem 31.12.2020 keine Entwaldung oder Waldschädigung mehr stattgefunden hat.
Das in Deutschland für die Umsetzung zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft spricht von einem „innovativen, weltweit einmaligen Ansatz verbindlicher, unternehmerischer Sorgfaltspflichten“.
Da ist etwas dran, die Ziele der neuen Verordnung sind tatsächlich ehrgeizig. Hinter der Verordnung steht nämlich eine Agenda, die der Komplexität eines Waldökosystems Rechnung trägt:
- Der internationale Fußabdruck der EU auf die tropischen Regenwälder soll verringert und so die weltweiten Treibhausgasemissionen um knapp 32 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert werden.
- Durch weniger Entwaldung wirkt sich die Verordnung in der Theorie auch positiv auf die Artenvielfalt und Biodiversität aus.
- Die Verordnung schafft insgesamt Rahmenbedingungen für nachhaltige Produktions- und Konsummuster.
Innovativ an der neuen Verordnung ist zunächst die Tatsache, dass sie sich explizit auf alle Formen der Entwaldung erstreckt und nicht wie andere Gesetze nur auf die illegale Entwaldung konzentriert. Uninnovativ dagegen ist die Tatsache, dass sich die Verordnung explizit nur auf Wälder bezieht – und andere wichtige Ökosysteme wie Wiesen, Feuchtgebiete, Savannen oder Moore erstmal nicht berücksichtigt.
Was bedeutet die Verordnung für Unternehmen?
Betroffen von der Regulierung sind alle Wirtschaftsteilnehmer*innen, die Erzeugnisse in der EU auf den Markt bringen, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen. Hauptsächlich bezieht sich die Verordnung auf die Produkte Soja, Rindfleisch, Palmöl, Holz, Kakao und Kaffee.
Um die verbindlichen Sorgfaltspflichten der Unternehmen prüfen zu können, muss eine genaue Rückverfolgbarkeit gewährleistet sein – die Unternehmen müssen also die geografischen Koordinaten ihrer Zulieferbetriebe in den Ländern erfassen, in denen die auf den Markt gebrachten Produkte der genannten Kategorien erzeugt wurden.
Mithilfe eines Benchmarking-Systems à la „niedrig, mittel, hoch“ wird die Europäische Kommission dann die Erzeugerländer bewerten. Ein geringeres Risiko bedeutet dann auch eine laxere Aufsicht, ein hohes Risiko stärkere Kontrollen.
Ist das nicht schon wieder viel zu viel Bürokratie?
Sehen wir uns dazu erst einmal die konkreten Anforderungen an:
- Im ersten Schritt sollen die Unternehmen Erklärungen an ein Europäisches Informationssystem übermitteln. Die Erklärungen enthalten sowohl eine Bestätigung, den Sorgfaltspflichten nachzukommen, als auch die geografischen Daten der zuliefernden Betriebe oder der Plantagen.
Innovativ daran ist, wie die Angaben der Unternehmen geprüft werden: Durch die Übertragung der Geodaten kann die zuständige Behörde mittels Satelliten überprüfen, ob die angegebenen Flächen tatsächlich entwaldungsfrei sind.
- Im zweiten Schritt analysieren und stufen die Unternehmen das Risiko für Entwaldung oder Waldzerstörung auf den betreffenden Flächen ein. Hier wird es schon bald, ähnlich wie beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LksG) auch, kostenfreie Tools geben, mit deren Hilfe sich die länderspezifischen Risiken per Geodaten ermitteln lassen.
- Im dritten und letzten Schritt müssen die Unternehmen dann verhältnismäßige Risikominimierungsmaßnahmen ergreifen – eben wie auch beim LksG.
Auf den ersten Blick also ein klares und offensichtliches „Ja“ – neue Verordnungen bringen mehr Bürokratie. Auf den zweiten Blick jedoch das berühmte „Ja, aber“:
Auch mit der Einführung des LksG reagierten Unternehmer*innen mehrheitlich ohne große Begeisterung. Im Laufe der Zeit und eine globale Pandemie später rückten dann jedoch die positiven Aspekte der Auseinandersetzung mit den eigenen Lieferanten, gerade im Hinblick auf die Resilienz der Lieferketten, in den Fokus.
Gehen wir lakonisch davon aus, dass menschenrechtliche Sorgfaltspflichten ein „Luxus“ sind, den sich die Europäische Union leistet, können wir in Bezug auf die Themen Biodiversität, Klimawandel und Co. von unbedingt notwendigen Voraussetzungen für die Geschäftstätigkeit von Unternehmen weltweit sprechen. Oder kurz: Ohne Umwelt keine Gesellschaft, ohne Gesellschaft keine Wirtschaft.
Was wir persönlich tun können
Das ist gar nicht so einfach. Die genannten Agrarrohstoffe finden sich in einer Vielzahl an Produkten des täglichen Lebens. Palmöl beispielsweise befindet sich mittlerweile in jedem zweiten Produkt, darunter in Schokoaufstrich und Backwaren sowie in Waschmitteln und Lippenstiften. Das Prädikat „Bio“ schließt hier leider die Entwaldung entlang der Lieferkette nicht aus.
Auch Siegel und Zertifikate tragen der Entwaldung (noch) nur in seltenen Fällen Rechnung. So konzentrieren sich Fairtrade-zertifizierte Produkte derzeit hauptsächlich auf soziale Aspekte wie die spezifischen Arbeitsbedingungen vor Ort. Den wohl am besten geeigneten Standard finden wir derzeit in der „Rainforest Alliance“ und dem „UTZ“. Diese beiden Standards haben sich zusammengeschlossen, um Entwaldungsrisiken zu kartieren. Zu der Analyse gehört außerdem der Blick darauf, wie sich die Produktion der Rohstoffe über längere Zeiträume entwickelt, um Strategien zur Bekämpfung der Entwaldung zu erarbeiten.
In naher Zukunft werden wir dann wohl neue und auch aktualisierte „alte“ Siegel und Labels beobachten können, die diesen wichtigen Aspekt in ihrem Ranking berücksichtigen.
Bis es so weit ist, sind wir auch hier gut beraten, regional und saisonal zu kaufen und/oder gänzlich auf lange oder intransparente Lieferketten zu verzichten.
Siehe auch: Die nachhaltige Transformation der Wirtschaft (CSRD)